Flaneur in zwei Welten

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Es sind die Liebe zum Risiko und die Faszination für die Heimat, die das Leben von Christoph Finkel bestimmen. Für ihn ging es nicht nur als Sportkletterer hoch hinaus. Als erfolgreicher Künstler schafft er Werke aus heimischem Holz, die meist mit einem riskanten Abenteuer ihren Anfang nehmen.

Wenn Christoph Finkel über Holz spricht, ist sie deutlich zu hören. Leidenschaft. Denn Holz ist für ihn nicht nur irgendein Material. „Es ist für mich ein Stück Heimat, dem ich ein zweites Leben geben kann“, sagt der 50-Jährige aus Bad Hindelang. Für seine Schalen und Objekte verwendet er mit Genehmigung des Alpmeisters meist Stämme aus hochalpinen Lagen im Oberallgäu. „Durch sein Alter und seine Lage im Gebirge hat jeder Baum einen ganz eigenen Charakter, eine spezielle Wuchsform. Das fasziniert mich, das fordert mich heraus“, erklärt der Bildhauer, dessen Werke in der alten Schule in Vorderhindelang entstehen. Zugleich hält er sich eisern an eine selbst auferlegte Einschränkung: Er verwendet nur Stämme, die durch Naturgewalten umgerissen wurden. Zum Beispiel von Bäumen, die einer Lawine zum Opfer fielen. „Auch wenn ich dürfte: Nie würde ich einen 200 Jahre alten Bergahorn einfach umschneiden“, sagt Finkel. Zu hoch ist die Wertschätzung für die Natur und das Verantwortungsgefühl gegenüber seiner Heimat.

DIE BERGUNG HAT ES IN SICH

Eine Einstellung, aufgrund derer jedes seiner Kunstwerke aus hochalpinen Lagen mit einem riskanten Abenteuer beginnt. Denn die Bergung der Stämme aus den Steillagen der Allgäuer Hochalpen hat es in sich. Jeder Schnitt mit der Kettensäge ist ein Risiko. Er verändert die Statik des Stamms und lässt Finkel bei einer falschen Bewegung mit Säge und Holz in die Tiefe stürzen. „Ich muss mich in das Holz hineinversetzen, Strukturen spüren, ahnen, wo Risse entstehen“, erklärt Finkel diesen Drahtseilakt. Doch mit Risiko und Höhe umzugehen hat der Künstler früh gelernt. Schon als Kind waren die Berge seine zweite Heimat. Als Hirtenbub lernte er, sich im Gebirge zu bewegen. Als Sportkletterer machte er sich international einen Namen und erklomm den fünften Platz der Weltrangliste. Als langjähriger Bundestrainer der Nationalmannschaft im Sportklettern gab er sein Wissen später an die nächste Generation weiter.

GEHEIMES STUDIUM

Seine Liebe zum Holz hat ihn aber trotz der sportlichen Erfolge nie verlassen. Vielmehr wurde sie ihm in die Wiege gelegt. „Mein Vater, Großvater und Urgroßvater arbeiteten als Wagner und Schlittenbauer. Schon als Kind habe ich gern geschnitzt“, erzählt Finkel, der parallel zu seiner Zeit als aktiver Kletterer an der Nürnberger Kunstakademie Bildhauerei studierte. „Keine Seite wusste von der anderen“, erinnert sich Finkel mit einem Lächeln. Den Sportlern verschwieg er seine künstlerische Ader und keiner der Studenten ahnte, dass ein Weltklassesportler mit ihnen im Saal sitzt. „Ich war und bin ein Flaneur in zwei Welten. Wollte nie in einer davon gefangen sein“, sagt Finkel heute. Wie seine Werke – kunstvolle Schalen und Objekte – entstehen, hängt immer vom Holz ab. „Ich passe mich an. Die Ideen und Umsetzung hängen vom Wuchs und der Beschaffenheit des Materials ab“, erklärt er. „Man muss lernen, das Holz zu verstehen und mit ihm zu arbeiten – nicht dagegen.“

MIT KONSEQUENZ ANS ZIEL

Die Kunstwerke des heimatverbundenen Allgäuers werden inzwischen in Stockholm, Los Angeles und Seoul ausgestellt. Aktuell sind sie auch in München zu bewundern und werden mit bis zu 30.000 Euro gehandelt. „Aber das war nicht immer so“, sagt Finkel. Gerade am Anfang seines Künstlerdaseins hat ihn noch die Arbeit als Kletter-Bundestrainer über Wasser gehalten. „Bis ich wirklich von der Kunst leben konnte, hat es fast 15 Jahre gedauert.“ Mit dem gleichen Durchhaltevermögen, das ihn schon an die Sportspitze gebracht hat, verfolgte er aber seinen Weg konsequent und leidenschaftlich. Unterstützt wurde er dabei schon zu Beginn von seiner schwedischen Frau Angelica, einer Top-Kletterin, die er bei einem Weltcup im französischen Chamonix kennenlernte. „Es hat Zeit gebraucht, aber ich hatte immer das Glück, ohne Druck arbeiten zu können“, resümiert Finkel. Heute ist er angekommen. Denn die Kombination aus Heimat und Sport, aus Risiko und Kunst, sind für ihn existenziell. „Für mich gehört das eben alles zusammen.“